Aus Protest gegen die Machtübergabe an Hitler legten am 31. Januar 1933 mehrere hundert Textilarbeiter in Mössingen ihre Arbeit nieder, streikten und demonstrierten gegen die nahende Diktatur. Wenige Monate vor dem 80. Jahrestag im Januar 2013 löst der soeben im Talheimer Verlag erschienene Band über den Mössinger Generalstreik heftige öffentliche Diskussionen aus. Mit dem vorgelegten 360 Seiten umfassenden und stark bebilderten Buch rückt der Verlag die Generalstreikenden ins Licht und unterstreicht deren legitimen Widerstand gegen ein verbrecherisches NS-Regime.
„Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“ – so resümiert eine Mössingerin ihre Erzählung über die Ereignisse an jenem 31. Januar 1933, als die Arbeiterbewegung ihres Heimatorts den Generalstreik gegen die tags zuvor eingesetzte Hitlerregierung durchzuführen versuchte. Zwischen 600 und 800 Demonstranten sollen es gewesen sein, die im damals etwa 4.000 Einwohner zählenden Arbeiterbauerndorf Mössingen durch die Straßen und vor die Fabriken zogen. Es gelang ihnen, zwei der größten Betriebe am Ort stillzulegen, doch nach kurzer Zeit wird der „Mössinger Aufstand“ – wie ihn viele der damals Beteiligten nennen – durch massiven Polizeieinsatz abgebrochen. 80 Personen aus Mössingen und seinen Nachbargemeinden sind es dann, die für diesen vergeblichen Versuch, Terror und Krieg für Deutschland und Europa abzuwenden, ins Gefängnis kommen – die meisten für einige Monate, manche für mehrere Jahre.
Vor knapp dreißig Jahren erschien endlich die erste Textsammlung und Dokumentation dieses außergewöhnlichen Ereignisses in Mössingen. Der Talheimer Verlag sowie Hermann Berner und Bernd-Jürgen Warneken, die Herausgeber des Bandes „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier! – Der Mössinger Generalstreik gegen Hitler“, widmen diese ergänzte und erweiterte Neuausgabe dem letzten Überlebenden der ehemaligen Generalstreiker, der im Alter von fast 102 Jahren im Januar 2010 gestorben ist: „Jakob Textor zu Ehren“. Jakob Textor war beim Generalstreik dabei und hatte durch viele öffentliche sowie nächtliche Aktionen vor dem Nationalsozialismus gewarnt.
„Der Auslöser des Interesses an den Mössinger Arbeitern war natürlich deren Aufstand gegen die Machtübergabe an die Nationalsozialisten, jener 31. Januar 1933, an dem Mössingen deutsche Geschichte geschrieben hat; und gewiss lag der zehnköpfigen Autorengruppe daran, dieser damals leider isoliert gebliebenen Protestaktion die ihr bis dahin vorenthaltene gebührende Erinnerung und Würdigung zuteil werden zu lassen. Aber wer das Buch aufschlägt, wird bald merken, dass es nicht als Heldenepos und nicht als Propagandaschrift angelegt ist, sondern als sozial- und kulturhistorische Investigation. Seine Leitfrage ist: Wie war es möglich, dass eine solche teilnehmerstarke, entschlossene, hellsichtige Aktion nicht in den Zentren der Arbeiterbewegung, nicht an der Spree, an der Elbe, am Rhein, sondern an der Steinlach in einem 4.000-Seelen-Dorf am Fuß der Schwäbischen Alb stattfand?“ (Aus dem Vorwort von Bernd Jürgen Warneken)
„Warum es wichtig ist, Aktionen wie den Generalstreik im Gedächtnis zu behalten, muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden. Bedeutsam für mich ist immer gewesen, dass es Widerstand gegen Hitler nicht nur in Offizierskreisen gab, sondern auch ‚einfache Leute‘ (ich will die Mössinger Generalstreikteilnehmer mal so nennen) Widerstand leisteten – und das zu einem frühen Zeitpunkt, als die Militärs noch ‚Hurra!‘ riefen, Widerstand jedoch noch viel Erfolg versprechender gewesen wäre als nur wenige Monate später. Ich denke zwar nicht, dass in unmittelbarer Zukunft in Deutschland ein neuer Faschismus droht – obwohl es nach wie vor ein gewisses Potenzial dafür gibt –, aber sich für eine gerechte Gesellschaft einzusetzen und dafür auch auf die Straße zu gehen, war und ist nie verkehrt. Deshalb ist es für mich persönlich eine besondere Genugtuung, in einem Ort wie Mössingen zu wohnen, in dem Widerstand gegen ein Unrechtsregime geleistet wurde.“ (Aus dem Nachwort von Hermann Berner)
Bernd Jürgen Warneken, Hermann Berner (Hg.)
Da ist nirgends nichts gewesen außer hier
Das „rote Mössingen“ im Generalstreik gegen Hitler
Geschichte eines schwäbischen Arbeiterdorfes
Jakob Textor zu Ehren
Gemeinschaftliche Autorenschaft des wissenschaftlichen Werkes von Hans-Joachim Althaus, Friedrich Bross, Gertrud Döffinger, Hubert Flaig, Karlheinz Geppert, Wolfgang Kaschuba, Carola Lipp, Karl-Heinz Rueß, Martin Scharfe, Bernd Jürgen Warneken
Mit einem neuen Vorwort von Bernd Jürgen Warneken, einem wirkungsgeschichtlichen Nachwort von Hermann Berner sowie Beiträgen von Jürgen Wertheimer, Irene Scherer und Welf Schröter
Mössingen 2012, 360 Seiten, mit mehr als 200 zum Teil bislang unveröffentlichten Abbildungen, 32,00 Euro, ISBN 978-3-89376-140-1