Wenn die Realität uns einholt- Interview mit Alexander Wohnhaas

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Alexander «Lex» Wohnhaas ist Saenger und Sprecher aus Augsburg. Bekannt ist er vor allem da er der Frontmann der Rockband Megaherz ist.

In seinem zweiten Roman erzählt er eine Geschichte von Rechtsradikalen, IS-Terroristen und ein junges Mädchen. Alle sind mit dem Schicksal von einem Mann verbunden, Edgar, der, im Versuch etwas Gutes zu tun, eine ganze Stadt in Panik versetzt.

 

Wir haben Lex getroffen. Hier was er uns erzählt hat.

 

 

 

Wie kamst du eigentlich auf dieses Thema? Was war der Auslöser?

Eigentlich fing alles an, als ich mich mit einem guten Freund über Afghanistan unterhielt. Er ist Hauptfeldwebel bei der Bundeswehr und hatte 3 längere Einsätze dort. Über einen Zeitraum von 2 Jahren unterhielten wir uns immer wieder über das Thema. Es ging um ganz praktische Dinge, wie man dort so die Zeit totschlägt, wie man untergebracht ist, bis zu richtig harten, tiefgreifenden Themen. Wie geht man mit dem Tod von Kameraden um? Was geschah tatsächlich bei Kampfeinsätzen? Wie verarbeitet man das mit der Familie? Sehr vieles, das für die Erschaffung meiner Hauptperson Edgar wichtig war, verdanke ich diesen Gesprächen. Und natürlich anderen Gesprächen, die ich noch mit weiteren Soldaten geführt habe.

 

Wie lange hast du an dem Roman geschrieben?

So genau kann ich das gar nicht sagen. Da ich auch immer wieder Pausen hatte, in denen ich gar nicht geschrieben habe, auf Tour war und mit meiner Band „Megaherz“ beschäftigt war. Aber ich würde sagen über einen Zeitraum von etwa 4 Jahren.

 

Welche Figur ist zuerst entstanden und welche war deine größte Herausforderung?

Natürlich Edgar. Er ist (neben Lisa) der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Es gibt mehrere Ebenen, die ich in seinen Charakter eingebaut habe. Seine professionelle, mörderische Vergangenheit, der eiskalte Killer, wenn man so will, sein Wahnsinn und die irren Bilder und Stimmen, die ihn verfolgen, sowie die Hilflosigkeit und die Schwäche, die aus der Konfrontation mit diesem Wahnsinn entstehen, und die Edgar plötzlich menschlich und beinahe „sympathisch“ erscheinen lassen.

Die Konfrontation mit dem Wahnsinn und die Begegnung mit Lisa und die Freundschaft, die daraus entsteht, sind die wichtigsten Eckpunkte gewesen, die ich für das Gelingen der Geschichte erst einmal lösen musste.

 

Stilistisch ist der Roman in Bildern aufgebaut, einzelnen Episoden (Kapiteln) die einige Blickwinkel der Geschichte erzählen. Neutral gehalten um keine Position einzunehmen?

Im Gegenteil. Ich glaube, dass ich in dem Roman ganz klar eine Stellung beziehe, aber ich möchte keine einfachen Antworten liefern. Dadurch, dass ich dem Leser die Möglichkeit gebe, in mehreren Köpfen gleichzeitig die Geschichte zu erleben, kann er selbst sich fragen, wie er die Dinge sieht, wie er sich entscheiden würde. Ich finde Fragen stellen viel wichtiger, als übereilt Antworten zu liefern, die vielleicht viel zu kurz greifen. Es sind ja auch wichtige Themen, die ich in dem Roman aufgreife. Das Aufkommen rechtsradikalen Gedankenguts, das sich ja auch vieler unserer, z.T. auch berechtigten(?), Ängste bedient. Die Frage, wie aus unschuldigen, ganz normalen Menschen Dschihadisten werden, die sich für ihren Glauben in die Luft sprengen. Die Erosion von Werten, die unterschiedlicher nicht sein könnten und uns mehr spalten als zusammenhalten? Auch das ist eine Frage, die ich stelle. Die unterschiedliche Wahrnehmung von Realitäten oder, wenn man so will, „Wahrheiten“ ist etwas, dass das Buch wie einen roten Faden durchzieht.

 

Du bist, u.a. Musiker, allerdings tritt in diesem Roman keine Musik auf. Warum?

Weil es kein Roman oder gar Sachbuch über Musik ist. Nicht alles dreht sich in meinem Leben um Musik.

 

Allerdings baust du Sport, Döner und einen Italiener mit sizilianischen Attitüden ein. Ist dies das Deutschland wie du es heute siehst?

 

Ich habe, darauf habe ich auch extra noch in meinem Schlusswort hingewiesen, für die Recherche zu dem Buch mich mit ganz vielen Menschen unterhalten. Mit Soldaten, Polizisten, Journalisten, aber vor allem mit ganz normalen Leuten wie du und ich. Ich komme, vielleicht auch ein wenig bedingt durch meinen Beruf als Musiker viel rum und lerne viele Leute kennen. Dabei erfährt man viele Geschichten und Schicksale. Das Döner, Italiener, Türken und zig andere Nationen inzwischen zu unserem Alltag gehören, dafür braucht man keine akademische Ausbildung. Man muss nur seine Augen aufmachen. Diesen Menschen aber auch zuzuhören und ihre Sicht der Dinge mal wahrzunehmen, dafür muss man schon auch ein wenig sein Herz öffnen und lernen über den Tellerrand zu blicken. Wie will man z.B. den Islam beurteilen, wenn man nur die entsprechenden Stellen im Koran liest und sich nie mit Moslems, die man kennt oder kennenlernt, darüber unterhält? Gern auch darüber streitet, aber mit Worten und nicht mit vorgefertigten Meinungen.

 

Obwohl Lisa eine Familie hat, findet sie in ihrer nicht die Geborgenheit, die ihr Edgar und Serdar liefern. Welche Rolle spielt die Familie, deiner Meinung nach, in der heutigen Gesellschaft und inwiefern hast du deinen Ansichtspunkt in dem Roman eingebracht?

Auch Familie ist ein Thema, das, meiner Meinung nach, eine unterschiedliche Wertung in unsere Gesellschaft erfährt. Ich denke, dass wir Deutsche dazu ein nicht ganz so emotionales und hochstilisiertes Bild davon haben, wie viele unserer Mitbürger mit Migrationshintergrund. Wobei man auch das nicht verallgemeinern kann. Wir leben oft in Ein-Kind-Familien, durchorganisiert, vielleicht auch etwas verwöhnt oder nehmen oft Dinge für selbstverständlich, die eigentlich nicht selbstverständlich sein sollten. Freunde, wir selbst oder der Beruf sind uns oft wichtiger als die eigene Familie. Bei Freunden mit Migrationshintergrund habe ich das ganz anders erlebt. Da hat die eher traditionelle Vorstellung, Kinder kriegen, eine Familie gründen und dann für seine Familie sorgen noch einen ganz anderen Stellenwert. Da gibt es in Sachen Familie ein viel größeres Zusammenhaltgefühl. Das kann manchmal auch negative Auswirkungen haben. Siehe Ehrenmorde, Unterdrückung von Frauen in manch sehr traditionellen Haushalten. Dafür habe ich das Gefühl, dass sich Deutsche öfter verloren und einsam fühlen, weil ein familiärer Rückhalt fehlt. Wie gesagt, man kann das nicht verallgemeinern, aber was ich mit meiner Geschichte zum Ausdruck bringen möchte, ist, dass kein Mensch allein sein sollte und das Freunde und/oder Familie ein ganz wichtiger Ankerpunkt sind, um sich in dieser chaotischen, immer unsicheren Zeit nicht verlassen zu fühlen, wodurch man vielleicht auch anfälliger für einen schlechten Einfluss wird.

 

Außer Lisa und ihrer Mutter sind im Roman keine weiteren weiblichen aktiven Figuren bis zum Schluss, wo kurz die Mitspielerin Lisas auftaucht. Bewusste Entscheidung oder hat es sich einfach ergeben?

Ein paar mehr weibliche Rollen sind zwar schon im Roman, aber du hast Recht, Lisa ist der einzige, weibliche Charakter, der wirklich eine Rolle spielt. Liegt vielleicht auch daran, dass Edgars Vergangenheit und das Millieu, in dem er sich aufhält, sehr Männer geprägt ist. Dafür ist sie für mich der heimliche Star der Geschichte. Ich habe sie mit so viel Gefühl und Mut geschrieben, dass sie mir regelrecht ans Herz gewachsen ist. Sie ist eine Einzelkämpferin, die trotz schwieriger Lebensverhältnisse und zig Hindernisse nicht aufsteckt und dabei menschlich bleibt. Trotz vieler Ängste, die wir alle haben, hält sie unbeirrt an ihren Träumen fest und in der Begegnung mit Edgar lernt sie etwas fürs Leben. Genauso wie sie Edgar etwas beibringt. Die Freundschaft der beiden und ihre Geschichte sind der Dreh- und Angelpunkt von „Blutzoll“.

 

Du zitierst auch die Attentate in Paris: wie hast du persönlich darauf reagiert auch weil, u.a. Konzertbesucher Opfer des Terroristenangriffs wurden?

Ich war geschockt, wie wir alle. Als Musiker von dem Massaker im Bataclan zu hören, ist natürlich nochmal eine ganz andere Qualität. Das ist glaube ich die Horrorvorstellung von jedem Musiker. Aber es ist eigentlich ganz gleich, wo ein solch unmenschliches Verbrechen stattfindet. Im Nahen Osten sterben seit Jahren Tausende an solchen Anschlägen. Man darf auch nie vergessen, aus welchem Ungleichgewicht sich dieser Hass speist. Der Westen mischt sich seit Jahrzehnten mit einer unglaublich zynischen Arroganz, aus Dummheit oder nicht minder grausamen, egoistischen Zielen, in die Krisenherde der Welt ein und es ist ganz klar, dass auch wir dafür einen Preis zu bezahlen haben. Darauf mit Krieg und Bomben zu antworten ist typisch kurzsichtig und wird die Gewaltspirale nur weiter befeuern.

Ich habe nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo damit begonnen, mich intensiv mit dem Islam auseinanderzusetzen. Ich habe angefangen, den Koran zu lesen und mich bei jeder Gelegenheit mit Moslems darüber unterhalten. Ich wollte wissen, ob diese Religion tatsächlich eine so gewalttätige, böse Ideologie ist. Und die Antworten, die ich dabei erhalten habe, waren genauso vielschichtig wie das Leben. Es gibt eben auch darauf keine einfachen, schnellen Antworten. Wer Böses im Namen Allahs tun will, kann dies genauso tun, wie er im Namen Allahs Frieden stiften und sozialen Ausgleich suchen kann. Es liegt immer am jeweiligen Menschen, was er daraus macht. Allah kann da genauso wenig dafür wie Gott oder Jesus.

 

Polizei, Medien & BND: Jeder von ihnen teilt nur einen Teil seiner eigenen Wahrheit mit. Eine Kritik an die Macht der Medien?

Nicht nur an der Macht der Medien. Am Establishment, an uns, die wir uns so einfach lenken lassen. Es gibt kein Schwarz-Weiß-Bild. Das sind die Guten und hier die Bösen. Aber wir Menschen wollen nun mal an einfache Lösungen glauben. Das macht ja eben auch vieles „einfacher“. Wer hinterfragt, abwägt und nachhakt, wird auf viel kompliziertere Antworten stoßen, was natürlich auch die Lösungen „komplizierter“ macht.

 

Ein offenes Ende: wird eine Fortsetzung folgen?

Ich finde das Ende gar nicht so offen. Natürlich ist nicht alles gesagt. Soll aber auch nicht, da ich ja auch Fragen im Kopf der Leser für durchaus etwas Gutes halte.

 

Elisa Cutullè

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