Venedig ist ein Anziehungspunkt für Reisende aus aller Welt: Die Palazzi, die Kirchen, die Plätze, die Kunstgeschichte der Lagunenstadt. Viele aber, u.a. auch Goethe, Rousseau und Mozart, waren von den Gondoliere der Stadt begeistert. Nun ist der Bariton Holger Falk in diese Paraderolle geschlüpft und bittet die Zuhörer auf seiner Konzergondel Platz zu nehmen.
«Il Gondoliere Veneziano» ist eine zeitlose Reise. Gewollt?
Die Feststellung, dass unser Album „Il Gondoliere Veneziano“ eine zeitlose Reise ist, empfinde ich als ein großes Kompliment. Die Zeitlosigkeit ist ja eine sehr persönliche Empfindung, die sich einstellt, wenn man tief in den Augenblick eintaucht, also ganz präsent zuhört. Dass dann diese Lieder des 18-Jahrhunderts und die Klangkompositionen von heute als zeitlose Einheit erscheinen ist genau, was ich erreichen wollte.
Eine Reise die klassische Stücke mit elektroakustische Kompositionen vereint: Wie wird das zu einer venezianischen Einheit?
Die Lieder, die im 18. Jahrhundert aufgeschrieben wurden und mit ziemlicher Sicherheit schon wesentlich älter sind, bestechen durch ihre volksliedhafte Einfachheit und ihre teils sprachliche Verwurzelung im venezianischen Dialekt. Dadurch hat man nicht den Eindruck, dass sie so alt sind. Mir war wichtig, die Lieder als Mensch von heute zu singen. Die Gefühle, die Themen wie Eifersucht, Geld, Verrat, amouröse Abenteuer, erotische Spielerei und die spirituelle Weite des Meeres sind ja immer aktuell. Deshalb ist für mich der Weg in die Klänge von heute, der Weg in die Bar sozusagen, ein natürlicher. Und das hat mich an dieser Idee inspiriert.
Die musikalische Klangreise findet in den (Wasser)Gassen der Stadt statt: Was ist so interessant an dieser Perspektive?
Das Wasser ist ja das grundlegende Element Venedigs, es ist die Straße, auf der der Gondoliere sich tagtäglich bewegt. Der Klang der Wellen begleitet mich ständig, wenn ich in Venedig flaniere. Wir haben in den Klangkompositionen auch den Klang der Schritte durch die Gassen der Stadt eingefangen. Dadurch wird das Erleben einer Art Spaziergang und Spazierfahrt erfahrbar. Und beides zusammen ist für mich der Klang eines wandelnden Menschen in Venedig.
O-Töne bringen den Hörer in die Realität zurück, lassen ihn/sie, aber nicht daran verweilen. Welche Funktion haben diese zugewiesen bekommen?
Die Klänge des Venedig von heute sind die Welt, die jeder, der schon einmal in dieser zauberhaften, aber gleichzeitig durch den Tourismus völlig überforderten Stadt war, erkennen kann. Ich wollte, dass der/die ZuhörerIn sich identifiziert mit diesem Spaziergänger, der durch Venedig streift und sich vom Gondoliere die Geschichten Venedigs erzählen lässt.
Wie entstand die Zusammenarbeit mit Nuovo Aspetto und Merzouga?
Vor 5 Jahren gab ich zusammen mit Michael Dücker, dem Kopf von Nuovo Aspetto, ein Konzert mit einigen dieser venezianischen Lieder. Dieser Abend war eine Art venezianischer Maskenball und wir waren von der Wirkung der Lieder bezaubert. Die Idee, daraus eine CD zusammen mit Klangkompositionen aus Venedig zu machen entstand im Austausch mit mehreren Musikern und ich entschied mich dann, dieses Projekt mit Nuovo Aspetto zu machen, weil deren Klangwelt, die hauptsächlich auf Zupfinstrumenten basiert, ideal zur Klangwelt des Gondolieres passt. Merzouga wurde mir empfohlen und ich fand in Eva Pöpplein und Janko Hanushevsky einfühlsame Partner, die großes Interesse und Kreativität an den Tag legten.
Wie kann man sich den Kreativprozess vorstellen?
Zuerst steht hier die Sichtung des historischen Notenmaterials und die Auswahl der Lieder aus den großen Sammlungen, dann haben wir uns – das Kernteam von Nuovo Aspetto und ich – zusammengesetzt und gemeinsam eine Architektur und Arrangements dieser Lieder erfunden – die Noten dieser Lieder sind ja sehr einfach nur als Gesangsmelodie und Generalbasslinie notiert. Dann der Probenprozess und die Aufnahme der Lieder. Erst als die Liedaufnahmen bereits existierten, sind Eva Pöpplein und ich gemeinsam nach Venedig gefahren und haben, von den Liedern inspiriert, die Klangwelt Venedigs aufgenommen. Daraus entstanden die Klangkompositionen von Merzouga. Die komplexeste Aufgabe mit dem größten Diskussionsbedarf war die Abstimmung und Integration von Liedern und Klangkompositionen. Da gab es anfangs große Unterschiede in den Bedürfnissen der verschiedenen Akteure. Aber das Ringen hat sich doch gelohnt!
Wie schwer war es, diese musikalische Reise zu erleben und erleben zu lassen?
Ich kann sagen, dass dieses Projekt, das für mich sicher aufwendigste meiner bisherigen Karriere war. Über Jahre hat mich diese Idee und ihre Realisierung begleitet und es war nicht einfach, die richtigen Partner dafür zu finden. Viele Menschen haben sich an der Realisierung beteiligt und ohne diesen Beitrag und die Inspiration gepaart mit großem Durchhaltevermögen, wären wir nicht durchgedrungen. Nun ist dieses Projekt aber in der Welt und schon bei der Premiere an der Elbphilharmonie Hamburg war klar, dass wir es schaffen, ein lebendiges Venedig vor den Zuschauern entstehen zu lassen, das sowohl uns als auch das Publikum begeisterte.
Was ist an Venedig so faszinierend?
Wenn man „Il Gondoliere Veneziano“ hört, fühlt man es. Ich kann es in Worten niemals so gut ausdrücken…
Elisa Cutullè