Kammermusikalische Stunden der Hoffnung

Photocredit. Alex Grymanis

Das Molyvos International Music Festival findet auch 2020 statt: mit neuem Motto und unter veränderten Rahmenbedingungen, aber mit der alten Leidenschaft und Begeisterung der Festivalgründerinnen Danae und Kiveli Dörken und ihrer namhaften musikalischen MitstreiterInnen. Bei den drei Konzerten in Stuttgart und auf der Insel Lesbos wird jedermann/frau live und kostenlos dabei sein können – dank Live-Streamings auf den gängigen sozialen Plattformen. Und das Programm verspricht wirklich außergewöhnliche Momente – inkl. der Uraufführung des Auftragswerks „Moments“ von Nickos Harizanos.

In diesen Tagen legen viele junge Künstler eine ganz besondere Innovationskraft, Leidenschaft und Energie an den Tag, um trotz der für sie existenzbedrohenden Berufsbeschränkungen durch die globale Corona-Pandemie ihre Kunst dennoch in die Gesellschaft hineinzutragen. Und damit auch die hoffnungsvolle Botschaft zu vermitteln, dass es weitergeht – sicher nicht wie bisher, aber anders, besonders, nicht weniger spannend – und vielleicht sogar mit in dieser Situation ganz neu gehobenen Erlebnispotenzialen. Dies verspricht auch das vor sechs Jahren vom deutsch-griechischen Schwesternpaar Danae und Kiveli Dörken ins Leben gerufene Molyvos International Music Festival (MIMF) auf deren Heimatinsel Lesbos: „Es war schon immer ein Symbol der Hoffnung und der Beharrlichkeit in schwierigen Zeiten. Bereits in der Vergangenheit war es dem Festival ein wichtiges Anliegen, eine positive Gegenkraft in herausfordernden Zeiten darzustellen.“ So soll, ja muss das Molyvos International Music Festival auch 2020 stattfinden – infolge der Reisebeschränkungen diesmal als eine Art binationales Event mit Konzerten in Deutschland (24.7. Stuttgart) und Griechenland (17.8. + 18.8., dort mit dem extra illuminierter Dorf von Molyvos). Die Konzerte in Griechenland werden live in den sozialen Medien gestreamt (YouTube, Facebook, Instagram) und im griechischen Radio sowie auf der Plattform Classical:NEXT und der Facebook-Seite des Magazins „Rondo“ übertragen.

Das neue Festivalmotto „Synchronicity“ bildet einen idealen Anker für Reflexionen über die aktuelle Situation, in der das gleichzeitige Gemeinschaftserleben bei physischer Nähe fast gänzlich zum Erliegen gekommen ist. Mit dem aus der Psychologie Karl Jungs entlehnten Begriff der Synchronizität möchten die Festivalmacherinnen darauf anspielen, „dass zeitlich korrelierende Ereignisse, die scheinbar unabhängig voneinander passieren, tatsächlich durch unser gemeinsames menschliches Erleben und unser Unterbewusstsein miteinander verflochten sind.“ Die enge Verflochtenheit der MIMF-Künstlerfamilie, auch über große Entfernung hinweg, wird nun 2020 unmittelbar live erlebbar gemacht durch virtuell gemeinsames Musizieren über einen Split Screen in Molyvos. Dort werden Dionysis Grammenos und Sebastian Manz bei Mendelssohns Konzertstück Nr. 2 d-Moll (17.8.) nicht physisch anwesend sein, sondern über Bildschirm zugeschaltet, ebenso kommt die griechische Hymne durch die große MIMF-Familie zu einer virtuellen Aufführung. Musik kann einen Weg auch aus der aktuellen Corona-Krise weisen, ist Danae Dörken überzeugt: „In Zeiten, in denen es noch nie wichtiger war, physische Distanz zu wahren, bringt Musik uns einander näher. Sie erzeugt Verbundenheit in einer Zeit, in der unser Leben von Spaltung geprägt ist.“ Und dies gilt gleich in mehrfacher Hinsicht auch für die Uraufführung von „Moments“, einem Auftragswerk des Festivals. Die schon immer auch musikpädagogisch hoch engagierten Schwestern Dörken hatten dafür zunächst Kontakt mit Kindern auf Lesbos, darunter auch solche aus speziellen Flüchtlingsklassen, aufgenommen und diese gebeten, Klänge einzufangen, die sie an ihre eigene Heimat erinnern oder eine wichtige persönliche Bedeutung haben – vom Meeresrauschen bis hin zu Volksliedern. Aus den insgesamt neun Beiträgen wurde dann ein 10-minütiges Tape erstellt, zu dem Nickos Harizanos ein parallel aufzuführendes Werk für klassische Instrumente komponierte.

Bei dem zeitlich vorgeschalteten Live-Konzert im SWR Funkstudio Stuttgart (24.7.), das auch Teil des ARD Radiofestivals 2020 ist, bilden vier Werke von Robert Schumann (darunter sein „Abendlied“ in einem neuen Arrangement für Oboe und Klavier) das Rückgrat eines wahrlich multinationalen Kammermusikprogramms: So erklingen dort „A scattered Sketchbook“ des Syrers Kinan Azmeh, „Sechs Metamorphosen nach Ovid“ von Benjamin Britten, „The Chase“ des Schweizers Olivier Truan sowie „Give me Phoenix wings to fly“ der Kanadierin Kelly-Marie Murphy – letzteres zugleich als thematischer Brückenschlag zur griechischen Festivalheimat (oder als Allegorie, wie der Pandemie innerlich beizukommen ist?). Zu den Ausführenden zählen neben Danae und Kiveli Dörken der Cellist Maximilian Hornung, die Violinistin Sarah Christian, der Klarinettist Sebastian Manz und der Oboist Philippe Tondre.

„Wir freuen uns darauf, auch unter erschwerten Bedingungen wieder gemeinsam zu musizieren. Somit wird unser Programm sowohl die Freude an der Musik in den Vordergrund stellen als auch ein Symbol dafür sein, dass Musik Grenzen des Raums und der Zeit überwinden kann, um Hoffnung, Kraft und Verbundenheit zu verbreiten. Unsere separaten Erfahrungen werden dabei synchronisiert.“

 

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