Liebe, Macht, Monster- Eisbrechers Portrait des 21. Jahrhunderts

 

Dreieinhalb Jahre nach dem Nummer 1-Album Sturmfahrt (2017) haben Sänger Alex Wesselsky und Gitarrist, Produzent/Programmer Noel Pix sämtliche Stellschrauben des unverwechselbaren Eisbrecher-Sounds neu justiert und jedes noch so kleine Detail auf den Prüfstand gestellt, um mit Liebe Macht Monster ein packendes und vielseitiges neues Werk zu präsentieren.  Und auch dieses Album «Liebe Macht Monster“ ist wieder ein Nummer 1- Album.

Das Ergebnis ist eine musikalische Perspektive, zwischen Rock/Metal und Elektro-Industrial-Pop, die die Menschen, deren Gefühle und Überzeugungen im und rund ums Leben darstellt: Mal kompliziert intimistisch, mal stark und entwaffnend wie ein Orkan. Eine Klangwelt die so facettenreich wie das Leben ist, mit einer klaren Botschaft: das Leben MUSS gelebt werden, bis zum letzten Atemzug.

Wir haben Alexander Wesselsky gebeten uns durch die musikalische Entdeckungsreise des Albums zu begleiten.

 

Wie war es die neue Scheibe in den Händen zu halten?

Das hat gedauert… natürlich kenne ich die Texte und Musik in- und auswendig, aber die „physische“ Kopie habe ich erst nach dem Erscheinungsdatum bekommen. Es war, zuweilen, befremdlich da ich positives Feedback zum Album bekam, aber das Booklet noch nicht gesehen hatte (da kommt der Lehrer in mir wieder hoch)

 

Liebe sollte eigentlich einen Ausgleich, ein gutes Gefühl vermitteln. Warum und wie Liebe Macht Monster?

Was sich liebt das neckt sich… die Liebe ist ein seltsames Spiel… Über die Liebe sagt man viel… und jetzt haben wir auch etwas darüber gesagt. Es ist nicht nur ein Satz „Liebe Macht Monster“ sondern auch 3 einzelne Wörter „Liebe“, „Macht“, „Monster“ die man in Verhältnisse setzen kann indem man sie, immer wieder, neu aufstellt. Es ist unser freundliches Angebot an die Welt sich diese 3 Wörter anzuschauen und zu definieren welche Rolle diese Worte, für jeden, im eigenen Leben spielen, wie sie das Leben beeinflussen? Sind das, sogar die 3 entscheidenden Begriffe? Es ist eine Denksportaufgabe an sich, da semantisch etwas drin ist, ein kleine Riddle, nicht nur für Germanisten.

Als wir das Lied geschrieben haben, wussten wir noch nicht, dass auch das Album so heißen würde, aber, als wir nach dem Titel des Albums gesucht haben, war relativ schnell klar, dass im Titel eine große „Sprengkraft“ steckt. Es hat einfach gepasst: wir sind gelb-schwarz, wir haben das Zeichen gewählt und das hat gepasst. Auch das Erscheinungsdatum, 12. März. Am Tag vorher, 11. März, musste man an das Fukushima-Unglück denken, dass vor 10 Jahren passiert ist. Die Frage hier wäre: Was ist das Monster? Kann man das Monster erschaffen? Ist die Kernkraft ein Monster? Ist die Person damit gemeint die Kraft und Liebe in ein Auto steckt und die Familie außen vor lässt? Sind es die Bomben? Sind es unsere Aktionen, die uns regelmäßig überfordern? Ist es das Monster, das wir nicht verstehen, obwohl wir es erschaffen?  Wenn wir von Liebe sprechen, ist es nur körperliche Liebe oder ist es „Liebe Liebe“? Und was wird dann draus? Hitler war (wahrscheinlich) auch als Baby nett, aber etwas hat sich geändert? War es Liebe, Macht? Was bewegt die Menschen zur Veränderung oder zur Kreation der eigenen Identität? Sind wir Monster oder werden wir Monster? Und warum eigentlich? Wer oder was macht uns dazu?

Wir haben, denke ich, einen sehr großen Kreis gezogen, da eine Menge reinpasst. Und das ist auch der Drehpunkt des Albums: es geht um die Fragen, die wir uns stellen und die uns, als Menschen, ausmachen.

Ich finde diese Möglichkeiten einfach grandios und auch ein gutes Medium um versuchen zu verstehen, warum der Mensch immer noch des Menschen Feindes ist und warum Gesetze immer mehr notwendig sind, um das „friedliche“ Zusammenleben zu ermöglichen.

Die Kernfrage ist „Was stimmt nicht mit uns Menschen?“ und mich freut es, dass wir mit unserem 8. Album, ohne politisch zu werden, den Wahnsinn des Lebens angehen. Dies haben wir in Grafik, in Überschrift und im Inhalt gelungen.

 

Welchen Umständen führen zu der Aussage, dass es sich nicht lohnt ein Mensch zu sein? Passiert das immer oder nur unter gewissen Umständen, welchen?

Das müsste sich eigentlich jeder fragen, denn die Frage geht alle an. Ich lade alle ein sich ihren eigenen Reim drauf zu machen. Wenn man sich mehr Mühe geben will, könnte man, z.B. darüber nachdenken welches Glück man hat auf einem bestimmten Ort der Erde geboren worden zu sein. Schafft man es von sich wegzudenken? Verbringt man Zeit über andere zu denken? Fragt man sich, ob es einem gut geht, weil es anderen schlecht geht? Warum kann man, oft, sein eigenes Glück nicht sehen?

Ich mag es, für die die etwas mehr sehen wollen, etwas Kryptisches zu ermitteln die den Zuhörer einlädt auf die Suche zu gehen, ohne Verpflichtung oder Druck.

Ich habe ja, vor Eisbrecher, Mitglied der Band Megaherz. Unser erster Hit mit Megaherz war „es ist nicht leicht ein Gott zu sein“. Unser Eisbrecher Lied „Es lohnt sich nicht ein Mensch zu sein“, scheint eine Antwort darauf zu sein.

Man stelle sich die Beiden, der Gott und der Mensch in einer Kneipe, vor die über den Sinn des Lebens diskutieren und die jeweiligen Rollen analysieren/erklären. Da sitzen sie in ihrem Frust: Der eine schaut sich seine Schöpfung an und der andere fühlt sich nicht der Schöpfung angemessen.

Wenn man keine Lust zum Nachdenken hat, kann man einfach mit dem Kopf dazu wackeln und abfeiern.

 

Glaubst du, dass das Problem des Menschen der Mensch selbst ist?

Ja, na klar. An sich stellt der Mensch, für sich selbst ein Problem dar. Die Welt hat genau ein Problem und das ist, leider, der Mensch selbst. Wir Menschen sind ein Problem für unsere Umwelt, für die Fauna, Flora und uns selbst. Wir wissen welche Konsequenzen unsere Taten haben und tun es dennoch.  Ich habe mir letztens etwas notiert das hierzu passt:

Als Kinder haben wir keine Ahnung

Als Erwachsene haben wir keine Zeit

Als alte Menschen haben wir keine Kraft

 

Das ist das Elend der Menschheit: als Kinder wird man geprägt, als Erwachsene ist man unter Druck etwas zu erreichen und wenn man in Ruhestand ist, merkt man, dass man eigentlich einem Hamsterrad gefangen war und keine Kraft sich zu befreien. Das ist der „Witz“ des Lebens, die pure Ironie des eingebauten Dachschadens.

 

Warum ist man heutzutage ständig unter Druck? Wer kontrolliert den „Kontrollverlust“?

Kontrolle ist ambivalent. Ich mag den Begriff an sich nicht, finde den grauenhaft. Vielleicht wäre, in dem Sinne, Kontrollverlust etwas Positives: man befreit sich von Zwängen und hat einfach eine geile Zeit. Wenn man es aber mit, z.B. ein Mann sieht rot in Verbindung bringt, riskiert man einen ausgleichenden Amoklauf. Es kann sowohl das eine wie das andere sein. Im Text des Liedes heben wir den Druck/Stress hervor den wir uns selbst auferlegen: wir wollen Karriere machen, ein Haus, Schulden, Elektronik, exklusive Urlaube und Schnee, wenn es keinen gibt. Wir wollen einfach alles jetzt, ohne die Konsequenzen unseres Tuns wahrzunehmen. Obwohl wir genau wissen, was wir anstellen, tun wir (fast) nie das Richtige zur richtigen Zeit.

Das, wiederum, ist nicht Kontrollverlust, sondern ein latent gestörter Vorsatz.  Es ist eine Frage der emotionalen-sozialen Intelligenz. Vielleicht sollte man mehr Zeit investieren, um es den Menschen beizubringen.

Wir sind nicht perfekt: wir zeigen unsere Fehler und, manchmal, lachen wir einfach auch laut drüber und versuchen morgen weniger scheiße als gestern zu sein.

 

„Im Guten und im Bösen“: Musikalisch eine „kathedralische“ Theatralik mit Lebenseinbruch. Ist es möglich klar und deutlich zwischen Gutem und Bösem zu unterscheiden?

Ja, es ist möglich, aber jeder legt es für sich aus, und das ist ein Dilemma, da es von Erziehung, Religion und zig anderen Aspekten abhängt.  In uns leben beide Identitäten: wir sind Killer und Kuschelbären; wir lieben die Frauen und hassen sie; wir bleiben gerne im Bett aber stehen auch peppig auf. Wir sind einfach Ying und Yang: das Leben fließt zwischen Gutem und Bösem. Ohne das eine gibt es das andere nicht, die Wahl bleibt uns überlassen. Es ist der ewige Kampf gegen die eigenen Dämonen. Natürlich würde ich mich freuen, wenn wir mehr Richtung Gutes gehen würden, um so Ungerechtigkeiten schneller anzuschaffen. Aber das passiert, leider nicht.

Es scheint die Tendenz da zu sein die Kinder zu beschützen, das Schlimme komplett auszublenden, was, wiederum, eine komplett verfälschte Auffassung der Welt vermittelt.

 

„Nein danke“ => Industrial Töne, die den Konflikt Sprache<->Gedanken widerspiegeln. Wie sieht es in deinem Kopf aus?

Genauso so sieht es in meinem Kopf aus „Mein Kopf hält einfach nicht den Mund“, ich kann nicht abschalten, es gelingt mir nicht. Da muss ich nachhelfen. Es ist genau mein Song: eine Hass-Liebe Song. Es gibt Zeiten da ist man wahnsinnig angeödet und empfindet alles als superlangweilig, da würde man gerne „Nein Danke“ sagen (manchmal tut man es auch).

Ich kann, einfach nicht nicht denken.

Mal weniger Denken wäre nicht schlecht.

 

Wie kam die Zusammenarbeit mit Dero zustande? Wie führt „Dagegen“ zum Verständnis?

Ich habe 1992 oder 1993 meine erste OOMPH-Platte gekauft. OOMPH, Kraftwerk, Rammstein waren musikalisch sehr interessant.

Dero kenne ich schon seit längerer Zeit und wir sind oft im Rahmen derselben Festivals aufgetreten.  Ich wurde öfters gefragt, wann ich denn ein Duett mit Dero machen würde, aber es hatte sich, bis jetzt keine Möglichkeiten ergeben. Ich mag nichts Erzwungenes.

Rupert Keplinger, unser Bassist, hat ja auch schon Songs für OOMPH geschrieben. Als ich in Hamburg beim ihm war, sagte er mir, dass er mit Dero an etwas „herumgeschraubt“ hätte und lies mich die Aufnahme hören in der Dero sagte „Ihr redet nur die Worte leer… ich bin dagegen“. Nur diese wenigen Worte, sonst nichts. Ich fand die Rhythmik geil und sagte Rupert klar, dass, wenn OOMPH das nicht benutzen würde, wir (Eisbrecher) etwas damit machen müssen. Als Dero das erfuhr, meinte er es sei cool und so fügte sich alles zusammen. Wir haben zusammen an den Worten geschliffen. Ich war und bin mit dem Ergebnis ganz glücklich.

Bei unserem Song „FAKK“ muss man nicht viel erklären, hier sagen wir auch so etwas in der Art aber anders. Als großer RAGE AGAINST THE MACHINE Fan, lieb ich das sozialkritische Element in der Musik. Mensch und Umfeld kommt hier gut durch: ich denk, also bin ich dagegen. Wer heute nicht kritisch ist, plädiert morgen für eine Diktatur.

Ich, persönlich, dank meiner kritischen Haltung, mache etwas nicht, weil man es muss. Ich muss davon überzeugt sein oder überzeugt werden.

Im Sinne von: Ich tue was ich will und was ICH für richtig halte, ohne andere zu überrollen und ihnen meine Meinung aufzuzwingen. Überzeugen und nicht einfach nur laut brüllen.

 

2019 Brachte Nora Fingerscheidt den Film „Systemsprenger“ raus.  Warum bleibt so eine kontroverse soziale Figur noch aktuell? Warum wird sie noch gebraucht?

Ich finde die heutige Gesellschaft ermüdend. Wenn ein 8-jähriger meint Hedgefonds-Manager, Lehrer oder Rechtsanwalt werden zu wollen, weil seine Eltern es sind oder weil man damit gut Geld verdienen kann, finde ich es schade. Ich wünsche mir wieder eine Zeit zu der die 8-jährigen Piraten, Cowboys oder Astronauten werden wollen. Was ich meine ist, dass ich mir wünsche, dass die Kinder mehr Kinder sein können, sich die Eltern mehr Zeit für ihre Kids nehmen und nicht von der Arbeit besessen sind, um die Schulden abzuzahlen.

Ein guter Anfang wäre schon mal zuzugeben, dass man nicht weiß, was man will, dass man nicht einfach so tut, was von einem erwartet wird, sondern auch mal den Mut hat „Querzudenken“ Querdenken im ursprünglichen Sinn, und nicht in der heutigen Auffassung. Schade wie zurzeit die Begriffe missbraucht werden: Querdenken wird negativ, Gutmensch wird zum Idioten.

Ich wünsche mir mehr Leute, die gegen den Strom schwimmen, mehr „Bunte“ Leute die gewissen Aspekte in Frage stellen, und sich dagegenstellen.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir alle im gleichen Auto, mit dem gleichen Tempo in die gleiche Richtung fahren und alle nur eins nicht wollen: auffallen. Es geht nicht nur ums Auffallen, sondern auch ums anders sein.

Ich will, für mich, anders sein dürfen. Ich versuche es und es kostet wirklich eine Menge Mühe in dieser monothematischen Gesellschaft.

Wir brauchen Diversität, denn nur Diversität fordert Toleranz.

 

 

Elisa Cutullè

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