Ernani, Verdi & Heidenheim

Photocredit: Pete Schlipf

 

Mit seiner fünften Oper „Ernani“ landete der 31-jährige Giuseppe Verdi einen Sensationserfolg. Und stellte in vielerlei Hinsicht die Weichen für seine einzigartige Karriere als Bühnenkomponist: ob durch den erstmaligen Zugriff auf ein zeitgenössisches Drama (von Victor Hugo, das bei seiner Uraufführung übrigens einen veritablen Skandal ausgelöst hatte), die erste Zusammenarbeit mit dem Librettisten Francesco Maria Piave oder aus kompositorischer Sicht durch die sich hier deutlich abzeichnende Stimmfach-Anlage des sogenannten „Verdi- Baritons“, die imposanten Chorsätze und natürlich überaus eingängige Melodien: Nach der umjubelten Uraufführung im März 1844 hätten Venedigs Gassen von den Gesängen der Opernbesucher widergehallt, berichtet das zeitgenössische Feuilleton. Und dank rasch folgender Inszenierungen in Wien, London und Paris startete mit „Ernani“ auch die internationale Karriere Verdis. Der zeittypische Bühnenplot um eine (vermeintlich) unstandesgemäße Liebe zwischen dem Räuberhauptmann Ernani, der aber eigentlich ein Königssohn ist (hier gesungen von Sung Kyu Park), und der Granden-Nichte Donna Elvira (Leah Gordon), die wiederum sowohl von ihrem (Adoptiv-)Onkel Don Ruy Gómez de Silva (Pavel Kudinov) als auch von König Don Carlos (Marian Pop) begehrt wird, liefert eine ideale Projektionsfläche für das sich hierherausbildende Verdi-Piave-Erfolgsrezept: die Fokussierung auf extreme, durchaus auch überspitzt gezeichnete Charaktere und die Musikalisierung ihrer Psyche.

Auch Marcus Bosch sieht den „Ernani“ als Meilenstein in seiner bisherigen Heidenheimer Diskografie: „Ich glaube, die ‚Ernani‘-Aufnahme ist nochmals eine Steigerung in der hochgelobten frühen Verdi-Reihe der OH!. Solisten, Chor und die Cappella Aquileia tragen immer mehr die ‚tinto‘ des jungen Verdi. Den Weg des Komponisten Jahr für Jahr chronologisch mitzugehen, ist ein großes Geschenk für mich.“ So muss man kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese Heidenheim-Produktion das Zeug zur Referenzeinspielung der modernen Verdi-Exegese hat und jeden Opernliebhaber hellhörig werden lassen dürfte. Und zugleich bereits Vorfreude auf den nächsten Verdi-Coup aus der baden-württembergischen Sommerfestival-Hochburg weckt. Der Live Mitschnitt der 2019 aufgeführten Oper ist dieses Jahr bei Coviello Classics erschienen.

Wir haben uns mit Matthias Jochner, Flötist der Cappella Aquileia und im Kulturamt Heidenheim unterhalten.

 

Opernfestspiele Heidenheim und Verdi. Es scheint eine enge Verbindung zu herrschen. Wie kommt es dazu?

Auf dem Heidenheimer Festspielhügel wurde schon immer viel Verdi gespielt. Eine neue Qualität erreicht jetzt die Reihe der frühen Verdi-Opern in chronologischer Reihenfolge, die wir 2016 gestartet haben mit dem Oberto. Mit der großartigen Cappella Aquileia, die keinen Takt pauschal liegen lässt und so die ganze Kraft und Dramatik aufbietet, die in diesen frühen Werken steckt. Mit dem ungeheuer spielfreudigen Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn, mit handverlesenen Solisten. Das Festspielhaus wird hier für Verhältnisse eingerichtet, die der Entstehungszeit recht nahekommen. Marcus Bosch zeigt – das kann man schon so sagen – einen neuen, ungeheuer packenden Verdi.

 

Es gibt öfters Premieren oder Stücke, die nicht so bekannt sind. Was macht diese Elemente so besonders?

 

Schon Oberto war ein Sensationserfolg. Die Leute wussten nicht, was da jetzt kommt – und waren buchstäblich vom ersten Takt an elektrisiert. Es ist eine Art “urwüchsige Raffinesse”. Manche Rauigkeit, manches “Ungelenke” ist ja noch in den frühen Opern Verdis. Aber gerade das zeigt das Genie des unbedingten musikalischen Dramatikers – wenn man die Sachen eben wirklich Takt für Takt ernst nimmt und sich fern hält von Allgemeinplätzen, dann entsteht ein ungeheurer musikalischer Sog.

 

Was macht Verdi’s Ernani sehens- und hörenswert?

Generell war Ernani ja der internationale Durchbruch für Verdi. Für uns in Heidenheim waren nun Solisten wie Sung Kyu Park in der Titelrolle oder Leah Gordon als Elvira ein großes Geschenk. Die Cappella Aquileia unter Festivalchef Marcus Bosch dürfte sich spätestens mit Ernani als eines der profiliertesten Verdi-Orchester unserer Tage ausgewiesen haben. Und wer die Möglichkeit hat, einmal die bezaubernde Szene von Jasmina Hadžiahmetović und Sonja Füsti anzusehen in der Video-Aufzeichnung, der wird sich Ernani nicht entziehen können.

 

Die CD zu Verdi’s Ernani wurde dieses Jahr, in Zusammenarbeit mit Deutschlandfunk Kultur veröffentlicht: Wie ist die Resonanz bis jetzt gewesen?

Das schönste Kompliment hat uns Eleonore Büning gemacht mit ihrer wunderbaren “Umtata”-Kolumne in der FASZ. Oder Stefan Lang, der Heidenheim den Ehrentitel “Verdi-Werkstatt” verliehen hat. Viel nationale und internationale Begeisterung. Als ehrenvoll empfinde ich es aber auch, dass sich manche Kritiken daran stoßen, dass in Heidenheim durchaus auch mit Verdi-Hörgewohnheiten gebrochen wird. Einen eigenen Weg finden, das muss schließlich immer der Anspruch sein in der Kunst.

 

Am 5. April gab es eine Videopremiere der besonderen Art: Ernani in, in Streaming auf Facebook. Wie kam man zur Entscheidung diesen Weg zu wählen, welche technische Voraussetzungen gab es zu erfüllen und wie hat das Publikum darauf reagiert?

Seit 2010 haben die Opernfestspiele Heidenheim – ihre DNA ist ja Oper open air – eine zweite Heimat im Festspielhaus Congress Centrum Heidenheim. Ein akustisch wunderbares, modernes Haus. Schumann, Beethoven und Verdi hat die Cappella seither auf CD veröffentlicht bei Coviello und cpo. Bendas Medea kommt demnächst noch dazu. Es lag nahe, auch irgendwann Video zu versuchen. Philipp Ohls aufwendige Aufnahme ist auf Anhieb gelungen. Der Plan, das als Public Viewing nun in der Heidenheimer Innenstadt zu zeigen, wurde u.a. durch die Corona-Krise vereitelt. Facebook hat uns ein wenig entschädigt. Jetzt wollen wir Ernani im gerade auflebenden Auto-Kino zeigen.

 

2020 kann es, aufgrund der COVID-19 Maßnahmen, kein Festival geben. 

Rund 400 Klassik-Festivals in ganz Deutschland kämpfen derzeit mit den haarsträubenden Bedingungen, die uns Covid-19 auferlegt. Ich muss zugeben, dass ich den Euphemismus “alternative Formate” gerade etwas über habe. Aber klar, auch wir haben ein Programm in der Festspielzeit ohne Festspiele geplant. Von Klappstuhlkonzerten im leeren Rittersaal bis hin zu einer Rundfunkübertragung eines “Geisterkonzerts” in die Innenstadt.

 

Was bedeutet der Ausfall für die Opernfestspiele und für die Stadt Heidenheim?

Der erste Heidenheimer Sommer seit 1964 ohne Festspiele. Es ist eine Chance: Die Abwesenheit von Nahrung macht aus Appetit Hunger. Es ist aber auch ein Risiko: Allseits einbrechende öffentliche Haushalte werden uns in der Kultur vor große Herausforderungen stellen. Mich stimmt optimistisch, dass die in Heidenheim so ungeheuer engagierte Wirtschaft gerade jetzt sehr solidarisch ist. Neben der Stadt als größtem Geldgeber finanziert die Wirtschaft rund 30% der Festspiele. Aus gutem Grund: Die Festspiele sind internationaler Leuchtturm und bedeutender Wirtschaftsfaktor in einem. Die Studien sagen, dass jeder Euro öffentliches Geld etwa 4-fach Frucht bringt allein in dem, was Gäste und temporär Beschäftigte der Opernfestspiele konsumieren in der Festspielstadt.

 

Wie wird es 2021 aussehen bez. des Festivals? Wird das Programm 2020 nachgeholt oder wird es ein komplett neues Programm geben?

Die Planungen laufen ja immer auf mehrere Jahre im Voraus. Die Festspiele 2021 werden eine Mischung aus dem Programm 2020 und der Planung für 2021. Und mit I due Foscari wird natürlich der nächste frühe Verdi mit dabei sein…

 

 

Elisa Cutullè

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